Flucht vor dem eigenen Mythos
Die Legende lebt: Bob Dylan in Fürth
Foto: Gronau
Ein Klassiker auf der Höhe der Zeit: Das wunderbare Konzert des Rock-Poeten Bob Dylan in der Fürther Stadthalle.
Dylan gibt's jetzt auch auf CD-Rom. Der Rock-Klassiker im Computerzeitalter. Wer aber braucht heute noch Dylan? Vielleicht nicht nur der deutsche Rock-Sänger Wolfgang Niedecken, der die Songs des verehrten Meisters soeben in Kölschen Versionen veröffentlicht hat. Die Legende lebt und ist auf der Höhe der Zeit.
Bob Dylan ist seit Jahren auf der Flucht vor dem eigenen Mythos und scheint sich dabei selbst gefunden zu haben. Das mittlerweile fast 54jährige Jugendidol von einst genießt die hart erkämpfte Narrenfreiheit und entzieht sich konsequent den Mechanismen des Musikgeschäfts. Auf seiner "Never Ending Tour" spielt er an den entlegensten Ecken der Welt. Und manchmal verirrt sich der ewige Tramp, der nur auf der Bühne zu Hause ist, sogar in die deutsche Provinz. Fürth, Aschaffenburg und Bielefeld sind die Abstecher der jetzigen Stippvisite. Offenbarungen sind eben nicht nur in Metropolen möglich.
Die über 3000 Besucher in der ausverkauften Stadthalle durften zu Recht gespannt sein. Denn bei dem unberechenbaren Künstler, der die Rockmusik revolutioniert hat, muß man immer mit dem Schlimmsten rechnen, kann aber auch Sternstunden erleben. Viele erinnerten sich wohl noch an das legendäre Open-air-Konzert 1978 auf dem Nürnberger Zeppelinfeld, aber auch an das grausame Gastspiel in der Frankenhalle ein paar Jahre später.
In letzter Zeit hörte man von dem selbstzerstörerischen Genie nur Gutes: Dylans Solo-Album "Good as I Been to You" wurde 1992 als Rückkehr zu den Folk-Wurzeln einhellig gelobt, sein "Unplugged"-Auftritt im Musiksender MTV vor kurzem als Sensation gefeiert. Der geheimnisvolle Rock-Poet enttäuschte die Fangemeinde diesmal nicht. Nie war er besser als heute.
Entspannt und konzentriert steht Dylan im schwarzen Hemd auf der Bühne und sieht richtig gesund aus. Da näselt, anfangs noch unsicher, wieder die unvergleichliche Stimme, die man nur mögen oder hassen kann. Die aber keinen kaltläßt. Brüchig und verbeult klingt sie, manchmal aber auch erstaunlich kraftvoll. Wie bei alten Blues-Sängern spricht aus ihr nun die Lebenserfahrung, die für Dylan am Anfang seiner Karriere nur Attitüde war.
Dylan konzentriert sich in den knapp zwei Stunden auf den Gesang und seine Mund-harmonika, zur E-Gitarre greift er nur selten. Der Sound im Saal ist tadellos, und die ausgezeichnete Vier-Mann-Band spielt wie ein eingeschworenes Team, das sich blind versteht. Ein Pedal-Steel-Gitarrist bringt Country-Flair in die klassische Rock-Besetzung. Die Namen der Musiker nuschelt der Meister unverständlich ins Mikrophon, und auch sonst fehlt die Information: Das Programmheft zur Tour ist nicht rechtzeitig fertiggeworden.
Es gibt keine große Show, dafür aber ein atemberaubendes Konzert. Ein nostalgisches Best-of-Programm ist nicht zu erwarten bei einem Künstler, der sich nach wie vor an seiner Zeit reibt. Dylan, der den Seelen-Soundtrack für eine ganze Generation geliefert hat, taugt weder zum Denkmal noch zur Jugenderinnerung: Er entwickelt sich und seine Songs ständig weiter.
Neue und neueste Stücke wechseln mit Evergreens ab. Die klingen aber in völlig neuen Arrangements taufrisch und ungewohnt, kantig und energiegeladen. Knackiger Rock'n'Roll, Boogie und Blues sind die Zutaten, Selbst eingefleischte Fans rätseln anfangs über die runderneuerten Fassungen von "All Along the Watchtower" oder "Just Like a Woman". Im Mittelpunkt des Abends stehen Songs aus den Alben, mit denen Dylan Mitte der 60er Jahre den Folk-Rock begründete und die nichts von ihrer Aktualität verloren haben: "Subterranean Homesick Blues", "Highway 61 Revisited" und "Blonde on Blonde".
Ein Höhepunkt ist die "Unplugged"-Einlage mit der ergreifenden Interpretation von "Mr. Tambourine Man" und "Masters of War", dem klassischen Anti-Kriegs-Lied. Es ist wohl kein Zufall, daß der heimatlose Vagabund als einzige Zugabe "Like a Rolling Stone" zum Besten gibt. Erwartungshaltungen hat der große Verweigerer immer wieder gründlich zerstört. Er spielt lieber den komischen Heiligen als den falschen Messias. Ein Song-Zitat können die Fans auf T-Shirts mit nach Hause nehmen: "If you want somebody you can trust — trust yourself"
STEFFEN RADLMAIER
Aktuelle CD: Bob Dylan's "Greatest Hits, Volume 3" (Sony Music) und in Kürze lieferbar "Dylan Unplugged" (Sony Music)
Zur Lektüre empfohlen: Paul Williams, "Like a Rolling Stone. Die Musik von Bob Dylan 1960-1973. " Palmyra Verlag, Heidelberg. 472 Seiten, 49,80 Mark.