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Freitag, 17. März 1996

Ein Star steigt vom Podest

Bob Dylan trat in Aschaffenburgs Unterfrankenhalle auf

Aschaffenburg. Ein Denkmal läßt sich auf seinem Podest durch die Lande kutschieren, ein in die Jahre gekommener Weltstar hält Hof in der Provinz? Wer mit solchen Vorstellungen zu Bob Dylans Konzerten geht, muß zwangsläufig enttäuscht sein. So enttäuscht wie jene, die nach der letzten reinen Akustik-CD diesmal eine Unplugged-Tournee erwarten.

»Ich bin nicht der, den du willst«, hat der 53jährige einst in seinem Klassiker »It Ain't Me, Babe« gesungen - und so kann man bei ihm vor allem darin sicher sein. daß Dylan anders sein wird als gedacht. In der vollbesetzten Unterfrankenhalle jedenfalls gab er sich neuerdings wieder als Rocker: Mit zwei Gitarristen, einem Bassisten und einem Schlagzeuger ließ er den Saal ein ums andere Mal erbeben.

Kein nostalgisches »Blowin' In The Wind«- und »The Times They Are A-Changing«-Protest- und Folk-Erinnerungs-Gedudel wie in den romantisch verklärten 60er Jahren: Feuerzeuge und Wunderkerzen werden selten angezündet an diesem Abend. Stattdessen kommt zu Beginn ein Bob Dylan auf die Bühne, dessen äußere Erscheinung eher erschreckt. Heruntergekommen sieht er aus, fix und fertig wirkt der ohnehin schon schmächtige Künstler.

Seine ersten Lieder scheinen diesen Eindruck nur noch zu bestätigen. Kaum zu verstehen ist er, wenn er beiläufig und augenscheinlich unkonzentriert die Texte mehr vor sich hinnuschelt als singt Da bewegt er kaum die Lippen, gibt er sich seltsam abwesend, beinahe uninteressiert.

Lediglich auf der Mundharmonika kann er sich in der Anfangsphase mit der Power und Spielfreude der Begleitband messen: Dieses Instrument allerdings bläst er so schneidend und aggressiv wie schon seit Jahren nicht mehr.

Doch Vorsicht vor allzu schnellen Urteilen: Dylans Auftritt in der Unterfrankenhalle ist trotz der Anfangsschwierigkeiten eines der ganz großen Glanzlichter der vergangenen Jahre, kann je nach Erwartungshaltung entsetzen und begeistern - und vielleicht auch den einen oder anderen empören, weil der 53jährige nach knapp 90 Minuten und der einzigen Zugabe »Like A Rolling Stone« bereits kommentarlos die Bühne räumt. Gleichgültig jedenfalls bleibt keiner dabei.

So eigenwillig wie die Stationen seiner kurzen Deutschland-Tournee - vor Aschaffenburg gastierte er in Fürth, danach nur noch in Bielefeld - sind auch seine Auftritte: Faszinierend und spannend, wie Dylan seine alten Lieder zerdehnt, zersingt und verfremdet, wie er ihnen beinahe jedesmal eine völlig veränderte Melodie verpaßt und so - mangels vertrauter Töne - das in vielen Konzerten fast obligatorische, aber meist furchtbar nervende Mitgrölen des Publikums unterbindet.

Ob bei »Just Like A Woman« oder später im beeindruckenden Akustik-Set bei den Ohrwürmern »Mr. Tambourine Man« und »Masters Of War«: Langeweile kommt da nicht auf, im Gegenteil! Die Fans müssen schon hellwach bei der Sache sein, wollen sie tatsächlich sofort erkennen, welchen seiner Songs Bob Dylan gerade aus dem Pop- und Rockhimmel herunter auf den harten Boden der aktuellen Wirklichkeit holt.

»Nobody sings Dylan like Dylan«: Daran wenigstens hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten nichts geändert.

Wolfgang Dreikorn


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