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Stoffwechselvorgänge

Bob Dylan auf Europatournee

(Süddeutsche Zeitung, 17. März 1995, S. 14)

 

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Was einem Gregor Samsa zustoßen kann, vermag auch einem Bob Dylan zu widerfahren: Als Bob Dylan eines Abends aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich auf einer Bühne zu Engelbert Humperdinck verwandelt. Humperdylanck trug ein schwarzes Satinhemd und ein verschwurbeltes Gesicht, das in letzter Zeit zu viele leere Wodkaflaschen gesehen hat. Humperdylanck stand auf einer Bühne im Seebad Brighton, beschienen von altrosa und giftgrünen Scheinwerfern, erbarmungslos ausgeliefert einem Heer von englischen Rentnerinnen, das unterhalten werden wollten. Oder war es die Quellestadt Fürth und ein Heer von Fachoberschullehrern?

Nöl, nöl. Witzel, witzel. So könnte es nun weitergehen: Und noch ein elegant formulierter Tritt in Dylans Weichteile, weil der Overlord der populären Musik :auf seiner diesjährigen Europa-tournee in kaum. diskutabler Verfassung zu sein scheint. Aber ganz so einfach soll es nicht gehen. Bob Dylan leistet seit Jahren ein hektisches, weltumspannendes Tournee-Programm ab. nders als die untoten Großverweser der eigenen Vergangenheit wie die Rolling Stones oder PinkFloyd, anders auch als ein seit Jahren stagnierender Eric Clapton gewährt Dylan keine durchgestylten Marketing-Audienzen in Sportarenen, sondern hält in produktiver Unrast seine 'Musik am Leben. Wie ein Miles Davis hat er eine faähige Working Band um sich geschart, deren Vertrautheit mit Reprtoire und Mucken des Zimmermanns aus Minnesota ein gewisses Level garantiert; an guten Abenden gar über eine Art permanenten Workshops zu unerwarteten, gewagten, ja ganz und gar unwiederholbaren und einzigartigen Aufführungen fähig ist. So in den letzten Monaten gehört und gesehen in Wien, in Woodstock, auch – mit Abstrichen – bei der "Dylan Unplugged"-Show auf MTV. Daß ein Musiker, der sich solchen Dauerbelastungen und Risiken aussetzt, auch mal Konzerte in den Sand setzt, man verzeihe das wüste Bild, ist allein schon aus statistischen Gründen unvermeidbar.

In Fürths für Konzerte gänzlich ungeeigneter Stadthalle fand sich das zahlende Publikum auf der falschen Seite der Gaußschen Glockenkurve wieder, feierte aber trotzdem euphorisch die Begegnung mit dieser großen Persönlichkeit der Zeit-und Musikgeschichte.

Das Konzert begann, wie alle Dylan-Auftritte seit gut zehn Jahren mit "Jokerman". Dylan ohne Gitarre, sich nur am Mikrophon festhaltend, da konnte man ohnehin nur noch hoffen, schon nichts mehr erwarten. Fahrig dann "If you see her, say hello". Bei "All along the watchtower" verpaßte Dylan den ersten Einsatz, bei "Masters of war" quäkte die falsch gewählte Mund-harmonika. Ab da gab es die Band auf, ihre Musik nach dem Gesang zu richten, weil selbst diese eingespielteste aller Dylan-Bands den torkelnden Interpretationen des Chefs nicht folgen konnte. Jetzt wurde der Set nur noch stramm abgerockt, wo in Wien noch wilde Ausflüge in die Möglichkeiten der Popmusik gewagt worden waren. Dylan mußte jetzt im Gegenzug seine Zeilen in diese Konfektionsnummern einpassen oder sich ins Harmonikagebläse flüchten. Dabei lächelte und "thankyoute" er ins Publikum, so daß schon zu befürchten stand, er werde gar noch Hände schütteln.

Den großartigen Dylan der neunziger Jahre, der auf Platte und oft genug auch live zu höchst eindrucksvollen Leistungen im Stande ist, konnte man in Fürth nur für Momente erahnen: In der akustischen Version von "Boots of Spanish leather", in "Stuck inside of mobile with the Memphis Blues again". Doch .tut dieses mißglückte Konzert dem Respekt für den agilen und wagemutigen Dylan keinen Abbruch; schade nur für die Zuschauer, daß mehr des Meisters Stoffwechselvorgänge im Mittelpunkt des Abends standen als sein Genius. Aber speziell für Dylan gilt: Das nächste Mal wird alles anders – was ihn meilenweit erhebt über die oben erwähnten Langweiler-Kollegen aus den güldenen sechziger Jahren. Bei denen bleibt immer alles, wie es angeblich gewesen sein soll.

KARL BRUCKMAIER


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